Alles Geschmacksache

KANN MAN TOFU LIEBEN LERNEN?

„Hm, irgendwie schmeckt es mir nicht.“ Kennst Du das auch? Du stehst in Deiner Küche und bereitest nach langen Schwärmereien eines guten Freundes das so hochgelobte Gericht mit Tofu zu und am Ende will es Dir nicht so richtig schmecken? Keine Sorge, das ist gar nicht so ungewöhnlich. Geschmäcker sind bekanntlich verschieden und unser Geschmacksempfinden ist dazu noch eine höchst komplexe Angelegenheit. Gerade neue Zutaten, Gewürze oder Zubereitungsmethoden können da im ersten Anlauf zunächst auf einen inneren Widerstand stoßen. Aber die gute Nachricht vorweg: Das persönliche Geschmacksempfinden ist zum größten Teil erlernt und damit veränderbar. Nur weil Du heute vielleicht noch nicht viel mit Tofu anfangen kannst, heißt das nicht, dass Du nicht in Zukunft (unbewusst) zum Tofu-Liebhaber wirst.

DIE GESCHMACKSRICHTUNGEN

Aber erstmal von vorne: Was bedeutet „Schmecken“ überhaupt? Es handelt sich hierbei um einen überaus komplexen Vorgang, bei der ein Reiz eine Vielzahl von Reaktionen auslöst, die schließlich zu unserem persönlichen Sinneseindruck führen. Was wir essen, nehmen wir sowohl über unsere Zunge als auch über unsere Nase wahr.

Die Geschmacksknospen auf unserer Zunge unterscheiden dabei zwischen den Geschmacksrichtungen süß, sauer, salzig, bitter und umami. Insbesondere der Umami-Geschmack – der für würzig, kräftig, deftig und fleischig steht und den wir z. B. von Sojasauce, kräftigem Käse, getrockneten Tomaten oder auch von dem in Verruf geratenen Geschmacksverstärker Glutamat kennen – ist neben Süßem und Salzigem für uns evolutionär bedingt besonders reizvoll. Unsere Vorfahren konnten kalorien- und nährstoffdichte ungiftige Lebensmittel an ihrem umamihaltigen (=proteinreich) sowie süßen (=kohlenhydratreich) und salzigen (=mineralstoffreich) Geschmack erkennen und so ihr Überleben sichern. Auch heute noch hat der Mensch eine natürliche Vorliebe für deftige, zucker- und salzreiche Speisen, was sich die Lebensmittelindustrie gerne mal zu eigen macht – nicht immer zu unserem gesundheitlichen Vorteil.

RANDNOTIZ: Diskutiert werden neben diesen fünf genannten Geschmacksrichtungen übrigens noch weitere – unter anderem auch Fett, für das es eigene Rezeptoren im Mund gibt. Schärfe hingegen ist keine Geschmacksrichtung entgegen unserem täglichen Sprachgebrauch, da die Empfindung lediglich ein Verbrennungssymptom auf der Zunge ist und nicht über die Geschmacksknospen wahrgenommen wird.

DAS ZUSAMMENSPIEL ZWISCHEN ZUNGE & NASE

Die nächste Frage, die nun im Raum steht: Was sind eigentlich Geschmacksknospen? Wie der Name schon verrät, handelt es sich tatsächlich um knospenartig geformte winzige Punkte auf der Zunge, im Gaumen- und Rachenbereich sowie in der Mundschleimhaut. Ca. 5.000 solcher Knospen tragen zum Geschmacksempfinden bei, wobei der Großteil auf der Zunge liegt.

ÜBRIGENS: Die langjährige Annahme, dass bestimmte Regionen auf der Zunge für das Empfinden bestimmter Geschmacksrichtungen zuständig sind – z. B., dass die Zungenspitze besonders auf süße Speisen reagiert – gilt heutzutage als überholt. Tatsächlich können die verschiedenen Geschmacksrichtungen von allen Bereichen wahrgenommen werden, einzig für Bitteres scheint der hintere Zungenbereich besonders empfindlich zu sein, vermutlich um uns daran zu hindern, giftige Stoffe zu schlucken.

Für den Gesamteindruck eines Gerichts bedarf es neben der Zunge aber noch weitere Faktoren. Die wohl wichtigste Rolle übernimmt die Nase, denn den Großteil von dem, was wir als Geschmack bezeichnen, nehmen wir in Wirklichkeit über unseren Geruchssinn wahr. Unsere Riechzellen können dabei Tausende von Gerüchen unterscheiden. Spätestens bei einer Erkältung mit verschnupfter Nase wird uns der Zusammenhang zwischen Riechen und Schmecken bewusst. Eine sonst so würzige Speise kann dann schnell ziemlich fad schmecken.

ERLERNTE VORLIEBEN

Aber Geschmacksknospen und Riechzellen hin oder her: Wie anfangs schon angedeutet, muss der Geschmack- und der Geruchsinn erst einmal erlernt werden. Und das beginnt mit der ersten Beikost. Alle Eltern werden es kennen: Jede neue Breikomposition wird vom Säugling erst einmal ausgespuckt, nach dem Motto: „Kenn ich nicht, will ich nicht.“ – im Gegensatz zu der Vorliebe zum Süßem und Fettigem, die wir bereits buchstäblich mit der Muttermilch aufgesogen und für gut befunden haben. Erst durch wiederholtes Probieren gewöhnen wir uns an neue Geschmäcker und empfinden diese mit der Zeit als angenehm.

GUT ZU WISSEN: Die kindliche Zunge ist wesentlich empfindlicher als eine erwachsene. Vieles wird (noch) als „zu viel des Guten“ abgelehnt, daher dürfen Eltern auch nicht verzweifeln, wenn insbesondere bittere Gemüsesorten wie Rosenkohl und Artischocke regelmäßig auf dem Kinderteller liegen bleiben. Das kann sich mit der Zeit durchaus noch ändern, denn „Wiederholung“ ist das Zauberwort. Je häufiger wir ein bestimmtes Produkt probieren, umso wohlschmeckender empfinden wir es mit der Zeit. Die Wiederholungstaten sollten allerdings freiwillig passieren, denn insbesondere bei Kindern könnte der Zwang, den Teller stets leer essen zu müssen, kontraproduktiv sein, da so das Gericht mit einer negativen Erinnerung verknüpft wird.

Tatsächlich wird unser Geschmacksempfinden aber noch früher ausgebildet: Unsere Vorlieben werden bereits im Mutterleib, also noch weit vor dem Stillen und dem ersten Babybrei, geprägt. Aromen aus dem Speiseplan der Mutter gelangen ins Fruchtwasser und legen so das erste Fundament für spätere Vorlieben. Eine abwechslungsreiche und vielseitige Ernährung während der Schwangerschaft ist somit nicht nur förderlich für die Entwicklung und Gesundheit des Ungeborenen, sondern erhöht auch die Wahrscheinlichkeit, dass dem Kind später viele Lebensmittel schmecken. Geschmacksmuster werden somit bereits sehr früh als vertrauenswürdig abgespeichert und mit neuen Geschmäckern verglichen, um Dinge auf ihre Essbarkeit zu überprüfen. 

DER MENSCH, EIN GEWOHNHEITSTIER

Um auf das Eingangsszenario zurückzukommen: Die gute Nachricht ist, dass wir (auch im Erwachsenenalter) aufgrund des Gewöhnungseffekts lernen können, den unbekannten Geschmack neuer Lebensmittel wie Tofu zu mögen – zumindest bis zu einem gewissen Grad. Und zwar in dem wir es immer wieder probieren. Ein Trick dabei kann sein, Vertrautes mit Neuem zu kombinieren: Bist Du beispielsweise ein absoluter Curry-Liebhaber? Dann füge beim nächsten Mal einfach etwas Tofu hinzu. Der Geschmack und der Duft vom Curry wird Dein Belohnungszentrum im Gehirn aktivieren, so dass die Anwesenheit von Tofu dieses Wohlgefühl nicht gleich kaputt machen wird. Je öfter Du das Tofu-Curry isst, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass Dein Gehirn mit der Zeit auch mit Tofu allein schöne Momente assoziiert und Dir das Gericht deines Freundes plötzlich doch schmeckt.

FUN FACT: Eine hundertprozentige Garantie in Sachen Gewöhnung kann Dir allerdings niemand geben. Bestes Beispiel: Koriander. Während die einen das würzige (oder doch „seifige“?) Kraut lieben, wenden sich andere mit Grauen ab und sind auch durch eine Wiederholungskur nicht umzustimmen. Denn neben der kulturellen und psychologischen Komponente gibt es noch einen weiteren Faktor, der unsere Geschmacksvorlieben steuert: Unsere Gene. Sie scheinen mehr Einfluss auf unsere Vorlieben zu haben als bisher angenommen. Zu einem gewissen Teil sollen sie dafür verantwortlich sein, wie intensiv wir schmecken können. Das heißt, ob wir beispielsweise Koriander als ungenießbar empfinden, weil der spezielle Geschmack einfach too much ist. Wie groß der Einfluss unserer Gene auf das persönliche Geschmacksempfinden tatsächlich ist, muss noch weiter erforscht werden.

Gib dem Tofu eine zweite Chance und probiere dieses Tofu Curry!

Quellen:

  • N. Rittenau, S. Copien | Vegan-Klischee ade! Das Kochbuch – Kompaktes Wissen, leckere Rezepte | 2020 | S. 84 ff.
  • J.M. Berg, J.L. Tymoczko, L. Stryer | Biochemistry | 2002
  • P. Besnard, P. Passilly-Degrace, N.A. Khan | Taste of Fat: A Sixth Taste Modality? | 2016 | Physiol Rev, 96(1) | S. 151-176
  • T.E. Finger, S.C. Kinnamon | Taste isn’t just for taste buds anymore | 2011 | Biol Rep, 3 | S. 20
  • Institute for Quality and Efficiency in Health Care | How does our sense of taste work? | 2006 | https://bit.ly/2WAkhm4